Dienstag, 21. Mai 2013

Drei Fächer für eine Betonkirche

Das Denkmalschutzprojekt 2012/13 des Hans-Carossa-Gymnasiums 

Die Abschluss-Präsentation



Pfingsten 2013 - in der Langen Nacht der offenen Kirchen fand die Abschlusspräsentation des "denkmal aktiv"-Projekts des Hans-Carossa-Gymnasiums statt.
Beginnend mit den Projekttagen im Herbst 2012 hatten sich Schüler und Schülerinnen des Kunst- (9. Klasse), Musik- (11. Klasse) und Religionsunterrichts (10. Klasse) Berliner Kirchen unterschiedlicher Bauweise angesehen und sich anschließend intensiv mit dem Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee beschäftigt - ein schwieriges Denkmal. Die äußere Erscheinung ist bewusst schroff und abweisend, um an die Gefängniszellen des nahe gelegenen Gefängnisses Plötzensee zu erinnern, in dem während der Nazi-Diktatur Tausende von Widerstandskämpfern hingerichtet wurden.

Am 19. Mai haben die Schüler und Schülerinnen ihre Arbeitsergebnisse in der Nacht der offenen Kirchen öffentlich präsentiert.



Ab 19.30 - Kunst zwischen Betonplatten


Auf dem Platz vor der Kirche trafen interessierte Menschen ein. Man schaute sich um, kam ins Gespräch und war neugierig auf das, was da kommen sollte.



Maria v. Fransecky, die Kirchenpädagogin, die das "denkmal aktiv"-Projekt als fachliche Partnerin begleitet hat, unterhíelt sich mit Andrea Simson (links), Tochter Harald Poelchaus, des ehemaligen Gefängnispfarrers von Plötzensee. Er konnte als unentdeckter Widerstandskämpfer viele seiner Freunde auf dem Weg zum Schafott begleiten.

Der Platz sah heute anders aus als gewöhnlich.
Die Wandelsäule des Deutschen Historischen Museums Berlin, die uns zur Verfügung gestellt wurde, ließ die Vorbeikommenden wissen, um welches Projekt es sich hier handelte. Die Säule war Teil der in Berlin öffentlich gezeigten Ausstellung „Zerstörte Vielfalt“. 
Aufmerksamkeit aber erregten vor allem die lebensgroßen Figuren, die im Kunstunterricht aus Draht, Zeitungspapier und Leim hergestellt wurden, die an diesem Tag die sonst öde und ausgestorben wirkende Freifläche bevölkerten....


...und  überraschte und neugierige Blicke auch bei Anwohnern erweckten, die den Weg quer über den Platz gerne als Abkürzung nutzen

 
An der Außenwand des Gemeindezentrums hingen gerahmte Plakate der Kunstschüler und -schülerinnen - darunter Fotos von Backstein- Sandstein- und Betonkirchen; sowie Gestaltungsvorschläge für eine Bemalung der Fassade der Gedenkkirche.


Kirchenpädagogin Maria von Fransecky schaute sich die Bilder an. Ob der Denkmalschutz wohl mit den Vorschlägen der Schüler und Schülerinnen einverstanden wäre?


Musiklehrerin Elisabeth Haberland sprach letzte Details mit einer Sängerin ab. Pfarrer Michael Maillard betrachtete aus dem Hintergrund was heute in seiner Kirche geschieht.


Derweil warteten die Drahtskulpturen noch auf ihren Einsatz.


Sie wirkten zerschlagen, müde, erschöpft.


Kurz  nach 20 Uhr war es soweit. Eine Schülerin hielt ein Feuerzeug an eine der mit Brandbeschleuniger getränkten Figuren.


Kunstlehrerin Annegret Wagner, die das "denkmal aktiv"-Projekt geleitet hat, hielt die Ereignisse mit dem Fotoapparat fest.


Auch Schulleiterin Maria Meyer und Frau Brete, eine ehemalige Lehrerin der Schule, waren gekommen, um zu sehen, was die Schüler und Schülerinnen erarbeitet haben.


So einfach, wie gedacht ist das Anzünden der Figuren gar nicht.

 
Manche Blicke wurden skeptisch. Das Verbrennen menschlicher Skulpturen an diesem Ort wirkte beklemmend.


Verständlich! In manchen Momenten hatte man das Gefühl den aktiven Einsatz eines Kriegsberichterstatters live mitzuerleben.


Das war durchaus beabsichtigt. Die brennenden Figuren sollten Assoziationen zu den Bildern von Gewalt und Menschenrechts-verletzungen, die man tagtäglich im Fernsehen sieht, hervorrufen.
Bei all dem Gedenken an die ermordeten Widerstandskämpfer und ihr Schicksal in der Hitler-Diktatur, sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass die Welt derartigen Widerstand an vielen Orten auch heute bitter nötig hat.
Gedenken ist keine Geschichtsstunde, sondern die Aufforderung zum Schutz von Würde und Menschenrecht. 

Die Schülerinnen und Schüler hatten siche beim Gestalten der Skulpturen vom "Plötzenseer Totentanz" Alfred Hrclickas inspirieren lassen, der sich hinter den Mauern der Betonkirche befindet. Seine direkte und provokante Darstellung von Gewalt im Kirchraum hat ein anklagendes Thema: Der Tod des Menschen durch den Menschen.
 
 
Das Verbrennen der Figuren wurde vor der Tür der Gedenkkirche den ganzen Abend über fortgesetzt.
Aber die Besucher machten sich langsam auf, um das angekündigte Programm in der Kirche mitzuerleben.

 
Der Chor befand sich bereits in der Kirche. Die Schüler des Religionsunterrichts waren vor der Kirche versammelt - bereit für ihre Impulsführung durch die Gedenkkirche.


20.15 - Das Programm in der Kirche


Im engen dunklen Vorraum drängen sich die Besucher. Mark Jakobs begrüßte die Gäste und erläuterte die Architektur der Betonkirche, sowie die Bezüge zu dem Gefängnis und dem Hinrichtungsschuppen in Plötzensee.


Joshua Hasenburg und Sebastian Wiest hörten zu und warteten auf ihren Einsatz.
 

Während Mark seinen Vortrag im Innenraum fortsetzte, machte sich der Chor zu einem ersten Gesang bereit, der mehrstimmigen Chorklangkomposition "Veni Creator Spiritus".


Nach dem Choral bewegte sich der Chor zu den Klängen einer Klaviermeditation von Tea Collot in einer Prozession zu seinem nächsten Auftrittsort.


Danach fiel Joshua die Aufgabe zu, die Bedeutung des "Plötzenseer Totentanzes" zu erläutern, den der Wiener Künstler Alfred Hrdlicka als Auftragsarbeit für das Gemeindezentrum erschaffen hat. Anders als dem mittelalterlichen Totentanz geht es ihm nicht um die Tatsache, dass vor dem Tod alle Menschen gleich sind. Hrdlicka klagt mit seinem Kunstwerk die Gewalt an, die der Mensch dem Menschen antut. Passend zur Kunstaktion vor der Kirche begann Joshua seinen Vortrag, an dem monumentalen Bild, auf dem Hrdlicka den Bogen schlägt vom ersten Mord der Menschheit - Kain erschlägt Abel - bis zu der, zur Entstehungszeit des Werkes in den 70er Jahren aktuellen Gewalt bei Demonstrationen.


Für das Klavierintro und -outro, mit dem der Chor seinen Vortrag von "Sometimes I feel like a motherless Child" rahmen lies, nahm Timur Bartels am Flügel Platz.


"Wir sind an einer Gedenkstätte," begann Florian Behrend (rechts) seinen Beitrag. "Da fragt man natürlich, woran hier erinnert wird." Er stellte nun einige Personen vor, die in Plötzensee hingerichtet worden. Um die Breite des Widerstandes zu betonen, hatte er den protestantischen Juristen Helmuth James Graf von Moltke, den katholischen Geistlichen Alfred Delp und den sozialdemokratischen Reformpädagogen Adolf Reichwein ausgewählt.
Religionslehrer Norbert v. Fransecky  erlebte den Beitrag seiner Schüler aus der ersten Reihe.

Später erinnerte Phil Abel (links) an den evangelischen Pfarrer Harald Poelchau, der trotz seiner Tätigkeit im Widerstand überlebte und die Arbeit für Demokratie und Zivilcourage in der Bundesrepublik Deutschland fortsetze. 

Die Stadt Berlin ehrt ihn durch die Benennung einer Schule und einer Straße. In Israel wurde für ihn ein Baum in Yad Vashem gepflanzt, um ihn las "Gerechten unter den Völkern" auszuzeichnen.

In Form einer Kanzellesung wurden Sätze aus den Abschieds-briefen von Moltke und Delp zitiert. Ein Sprechchor warf eindrucksvoll die (magischen) Worte "Freiheit", "Würde", Wahrheit" und "Hoffnung" in den Raum. 
 

Vor dem Bild "Emmaus", das den auferstandenen Christus in der Hinrichtungsbaracke von Plötzensee zeigt, stimmte der Chor das Spiritual "A little light of mine" an.



Sebastian Wiest beendete die Impulsvorträge mit einem Beitrag zum Ort des Geschehens. Aus dem Evangelischen Gemeindezentrum wurde vor einigen Jahren das "Ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee - Christen nud Widerstand e.V." - ein wichtiger Ort der Erinnerung mit einer schwierigen Zukunft.
Es sei nicht leicht für ein Denkmal, das bewusst derart aufwühlend und verstörend gestaltet wurde, Geld für Sanierungen und den Unterhalt aufzutreiben, beschrieb Sebastian von der Kanzel her eines der Probleme, mit denen sich die Gemeinde und der das Gedenkzentrum tragende Verein immer wieder befassen muss.

Nachdem Sebastian am Ende seines Vortrages dazu eingeladen hatte, eine Kerze für die hingerichteten Widerständler anzuzünden, beendete der Chor mit dem hoffnungsvollen "Freunde, dass der Mandelzweig" sein Programm.

Im Anschluß daran sangen alle Anwesenden noch gemeinsam den Kanon "Laudate omens Gentes". Danach wurden still Kerzen entzündet.



 

Ab 21.15 - Ausklang


Eine Ordensschwester aus dem benachbarten Karmelkloster nutzte die Zeit, um auch eine Kerze anzuzünden. Die katholischen Nonnen und die benachbarte katholische Gedenkkirche Maria Regina Martyrum arbeiten eng mit dem Ökumenischen Gedenkzentrum zusammen. Katholische und evangelische Kirche teilen sich sogar gemeinsam einen Kirchturm.
 

Nach dem Vortrag blieb Zeit für Begegnung und Gespräche im benachbarten Gemeindesaal. Einige Besucher verweilten zuvor noch in dem eindrucksvollen Kirchraum.





Unterstützer und Partner


 Das Projekt "Das Vermächtnis Berliner Betonkirchen der Nachkriegszeit" war ein Projekt des Hans-Carossa-Gymnasiums.
Es wurde im Rahmen des Programmes "denkmal aktiv" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz durchgeführt.


Fachlicher Partner war die Kirchenpädagogik der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.


 Kooperationspartner waren der "Atlas Religiöser Lernorte" und das "Ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee - Christen und Widerstand e.V.".


Text: Norbert v. Fransecky
Fotos: Maria v. Fransecky, Norbert v. Fransecky, Elisabeth Haberland

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